Eine Art Insider-Text
Unscheinbare Zurückhaltung japanischer Art sitzt vorne am Tisch. Der Kreis der grübelnden Denker spitzt die Ohren. Hat Elmar Holenstein uns eine Message mitgebracht? Vermag er Klarheit in unsere Gedanken zu bringen (die ja bei der Lektüre seiner Texte zwischendurch im Leerlauf drehten)?
Was war die Schweiz, was ist sie heut', was wird sie sein?
Die Patrioten seien enttäuscht: Die Schweizer Qualität ist nicht allein unser Verdienst! Kontingenzen allerorten!
Hätte sich die afrikanische Kontinentalplatte vor 35 Millionen Jahren nicht mit der eurasischen verkracht und verkeilt, wer weiss, ob sich die Habsburger jemals für diesen Flecken Erdoberfläche interessiert hätten... Sie wären vielleicht an die japanischen Ur(i)bevölkerung geraten und hätten newtonisch-mechanisch als Reactio ihren Morogartu erfahren. Was ja universal, oder um vorerst bescheiden zu bleiben, global keine allzu grosse Bedeutung gehabt hätte - homogene Eigenschaften hätten, um etwas spekulativ zu sein, auch auf den Berginseln zu ähnlichgestaltiger Entfaltung gebracht werden können. Aidi aus Nagano - und wir Schweizer hätten dann unsere helle Freude daran.
Es sind Thesen von grosser Tragweite, welche uns serviert werden. Die empathische Aufmerksamkeit und die Aura eines lieben Onkels äusserster Gutmütigkeit machen es zuweilen etwas schwierig, die Thesen in ihrer Fülle mit Bekanntem in Zusammenhang - ob Ein- oder Gegenklang - zu bringen. Sind es nicht einfach schöne Geschichten, Anekdote hier, Erfahrung dort, welche im Versuch eines Weltverständnisses einer konstruierten Kohärenz untergeordnet werden?
Herr Holenstein ist unter anderem Kulturphilosoph. Er will wissen, was den Dingen zugrunde liegt. Im aktuellen Falle also den Kulturen dieser Erde. Gibt es platonische Universalien essentieller (notwendiger) Art? Oder haben wir Menschen etwa har keinen gemeinsamen Nenner? Zwei Positionen stehen sich, wie so meist in der Philosophie, antithetisch gegenüber. Analog dazu, zum Beispiel, die Antwort auf die Frage, wie etwas begründet werden kann. Ist Wahrheit letztfundiert durch eine Basis von Axiomen, oder handelt es sich eher um die kohärente, widerspruchsfreie Verbindung von Elementen der Weltanschauung? Kohärentismus vs. Fundationalismus - und beide scheinen sich auszuschliessen.
Wie es aber auch in dieser Frage der Be-Gründung Versuche und Möglichkeiten gibt, zwischen den beiden Eckpunkten zu vermittlen, so möchte auch Herr Holenstein in der Frage der Gemeinsamkeiten dieser Kulturen den synthetischen Mittelweg ein- und vorschlagen. Uns auf dem Globus zerstreuten Menschen sind in kontingenter, also nicht-notwendiger Weise gewisse Grundveranlagungen gegeben, welche trotz aller Diversität in den konkreten Ausbildung sowohl in Oberflächen- als auch in Tiefenstruktur die Basis bilden zum gegenseitigen Verständnis.
Herr Holenstein studiert als schwerkraftgebundener Philosoph Kulturen dieses Planeten. Er nennt seine hierauf aufgespürten (intuitiv also - doch wie er selber eingesteht, können Intuitionen ändern, also unzuverlässig sein) "Wahrheiten" Universalien. Eigentlich eine Anmassung! Es sind nämlich nur Globalien! Es sind Wesenheiten (frz. entités), um diesen gestelzten philosophischen Fachausdruk zu verwenden, welche relativ zu unserem Dasein auf dieser Erde gelten.
Herr Holenstein sagt nun, er sei kein Wertrelativist: "Moral ist für mich wie Mathematik Zwei und zwei sind einfach vier." Es drängt sich die skeptische Frage auf, ob wir Menschen überhaupt Aussagen über das in seiner weiten Gänze unfassbare Universum machen dürfen. Antworten sind ja, wie wir gesehen haben, bereits innergalaktisch umstritten oder problematisch. Was gilt global, auf der Erde?
Hoppla, wieder mal in philosophische Spiegelsäle geraten... - machen wir uns den Ausweg einfach und definieren uns aus den Dilemmata heraus. Die Akademie heisst ja: Tableau de la Suisse. Werden wir bescheidener, und wenden wir uns wieder dem Thema und der Person zu:
Wir sprechen über direkte Demokratie. Herr Holenstein ist sich nicht so ganz sicher, ob denn diese urschweizerische Institution wirklich von grossem Vorteil ist. Wie konservativ, wie verlangsamend und aufreibend solche konsultative Prozedere doch sind! Müssten gewisse Reformen nicht unabhängig von mühsam erarbeiteten Mehrheiten umgesetzt werden können? "Ich bin dafür, dass die Leute ab 75 Jahren nicht mehr stimmen gehen dürfen!" Oho - stellt man sich Solches unter Zukunftigem in der Schweiz vor? Ich halte entgegen: "Um die Politik wirklich zukunftsgerichtet zu gestalten, sollte doch jede Person ab der Geburt das Recht auf eine Stimme haben." Herr Holenstein wirkt beinahe etwas überrumpelt von dieser Idee. Ob es ihn denn überhaupt noch interessiert, was aktuell in der Schweiz läuft? "Ich finde, dass ich mich als Auslandschweizer den im Lande Lebenden nicht in ihre Politik einmischen sollte. Zudem ist es ausserordentlich aufwändig, sich über manchmal komplexe Vorlagen hinreichend zu informieren."
Nicht gerade ein Idealbild des direktdemokratisierten Schweizer Bürgers... Macht denn nicht die wahrgenommene Eigenverantwortung dessen Eigenart aus? Besteht unsere (metapolitisch betrachtet hoffentlich nicht unverantortliche) Freiheit nicht essentiell darin, dass man sich auch dann für einen Weg entscheidet, wenn die Entscheidgrundlage nur eine Landeskarte im Massstab 1:1'000'000 ist, und nicht 1:25'000? 'To be free is to be free to choose very wrongly.' kommt mir da in den Sinn. Offenbar ist Professor Holenstein nicht der Ansicht, dass gewisse modern-aufklärerische Notwendigkeiten dem Menschen nur Gutes tun. Dass die Entwicklung moderner Gesellschaften nicht notwendigerweise "eine Entwicklung zum Guten ist", wie es in einem seiner Texte heisst.
Es liegt der Schluss nahe: Es gibt keine Werte, die typisch schweizerisch sind, und für die es als Schweizer einzustehen lohnt. Wenn es Ruth Dreyfuss mehr oder weniger gleichgültig ist, ob die Schweiz in 100 Jahren noch existiert (816 Jahre wären dann mehr als genug), soll es dann auch uns teilnehmenden ungefiederten Zweifüssern dieser Sommerakademie nicht zu sehr am Herzen liegen?
Ein voreiliger Schluss, pourtant! Herr Holenstein betont, dass es sehr wohl Faktoren gibt, welche in der Schweiz in vorbildlicher Weise erarbeitet und gepflegt wurden. Kleinräumige Verwaltungsinstanzen als Zauberwort sozusagen. Nicht, dass wir uns daraufeswegen zu viel einbilden sollten - glücklich wird man auch anderswo. Glücklich, was heisst das schon? Sind wir in der Schweiz wirklich glücklicher? Glück hängt doch nicht (nur) von Abstimmungssonntagen, 26 Kantonswappen und Gemeindeversammlungen ab!
Aber trotzdem sind wir ungemein privilegiert, glücksbeglückt, ja glückesglücklich hier in der Schweiz! Was hätte unsere Sommerakademie auch für einen Sinn, wenn ich nicht im Brustton der Überzeugung behaupten könnte: Suiza esiste!
(Ihr sei alle herzlich eingeladen, in diesen (zurzeit noch Einpersonen-) Chor einzustimmen!:)
16/07/2007
West-östliche Diwangedanken über Prof. Elmar Holenstein
Libellés : contingence, Elmar Holenstein, Japan, Japon, Schweiz, Suisse, Universalität, universalité
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