04/06/2013

Harvard schützt vor Dummheit nicht

Wussten Sie, dass die ethnische Diversität um so grösser ist, je tiefer sich das Bruttosozialprodukt gestaltet? Nach einer Forschung eines Harvard-Instituts für ökonomische Studien ist das so. Aus einer beigelegten Grafik (siehe Abbildung) folgt, dass das Bruttosozialprodukt der "ethnisch homogenen Länder" Frankreich, Russland und China höher ist als dasjenige der Schweiz. Frankreich sei wie Polen, Portugal, Schweden, Norwegen und Finnland und Haiti eines der homogensten Länder der Welt. Dass Haiti eines der ärmsten Länder der Welt ist scheint nicht zu stören. Auch, dass die Schweiz mit drei bis vier Stufen heterogener eingeteilt wird als Frankreich, Russland und China, stört das schöne Bild dieser umwerfenden Sozialforschung nicht. Die Schweiz erscheint mit der dritthöchsten Stufe an Diversität auf der selben Stufe wie Brasilien. Wie gesagt müssten wir in Helvetien tendenziell auch dasselbe Bruttosozialprodukt haben wie Brasilien.
Welche wunderbare Methode bringt uns in den Genuss dieser zauberhaften Erkenntnis? - Sie ist beinahe umwerfend genial: 
"If you called up two people at random in a particular country and ask them their ethnicity, what are the odds that they would give different answers? The higher the odds, the more ethnically “fractionalized” or diverse the country." (Si vous appelez deux personnes au hasard dans un pays particulier, quelle est la probabilité qu'ils donnent des réponses divergentes ? Plus la probabilité est grande, plus la fragmentation ethnique ou la diversité dans le pays est élevée).
Ich frage mich, wie die Wissenschaftler es angestellt haben, die Indianer im Amazonas anzurufen um sie zu fragen, zu welcher Ethnie sie gehören, und ich frage mich, in welcher Sprache sie das gemacht haben.

Spass beiseite: Hinter der Illusion, es gebe so etwas wie einen objektiven Referenzpunkt, mit dem sich Ethnizität messen liesse, steckt ein Irrglaube an eine Modell-Identität. Der Begriff Ethnizität ist in vielen Ländern und Gesellschaften gar nicht übersetzbar. Er macht Sinn in einem amerikanischen Referenzrahmen, wo es prinzipiell um das Aussehen geht, wo Leute für ihr Aussehen als "Caucasians" oder "African Americans" negativ oder positiv mit Ausschluss oder Stipendien diskriminiert werden können. Solche Kategorisierungen habe ich sogar in amtlichen Dokumenten z.B. bei der Einschreibung in die Universität gesehen.
Diese Harvard-Forschung zeigt eines der grössten Probleme mit sozialwissenschaftlichen Statistiken auf: Gemessen wird wunderbar genau, aber wenn die zu Grunde liegenden Kategorien nicht klar stimmen, oder reinen Fiktionen entsprechen wie in diesem Fall, dann kommt am Ende eben Humbug raus. 
Wieso Fiktionen? - Weil eben die Antworten auch durch die Art zu fragen gemacht werden oder eben verschieden ausfallen müssen in Abhängigkeit von der Art, wie Fragen je nach Land beantwortet werden (können). Je nach Land wird man seine eigene Peer-Group anders definieren, und sich entweder zu einer Sprache, oder zu einer Klasse, oder einer Herkunft, einer Religion oder eben Ethnie im "rassis(tis)chen" Sinn bekennen.
Je nach Integrationsmodell wird auch ein gleiches Individuum verschieden antworten, je nachdem ob man es fragt, woher es kommt oder wohin es gehört. In der Globalisierung ist es normal, eine andere Herkunft zu haben und trotzdem Schweizer oder Kanadier zu sein, zwei Identitäten zu leben.
Indien français dans film allemand-yougoslave.
Für jedes Land auf der abgebildeten Karte stellt die Farbe also NICHT die Diversität dar, sondern macht grundverschiedene Aussagen, einmal über Mehrsprachigkeit, einmal über Religion(en), einmal über soziale Ungerechtigkeit, über das politische System oder die Regierung, über die Geschichte oder das Integrationsmodell. 
Beispiel der ethnisch unglaublich homogenen Länder China und Russland: Ich behaupte, deren Homogenität in der Harvard-Studie heisst nichts anderes als: Wir haben eine Diktatur und es ist nicht gut bei uns, verschieden zu sein.
Beispiel des im Vergleich zur Schweiz scheinbar dreimal homogeneren Frankreich (oder Schweden) - dort heisst die extreme Homogenität nichts anderes als: Wir haben eine einige Nationalsprache, Französisch (bzw. Schwedisch) und wir haben den Anspruch auf ein stark integratives, nicht essentialistisches Integrationsmodell: Wir sind alle Franzosen und Schweden bzw. wir tun alle so, als ob dies unbedingt so sein müsse oder als ob wir schon am Ende der Integration angelangt wären.
In der "ethnisch" ach so vielfältigen Schweiz sind die Antworten nicht nur vor dem Hintergrund der staatstragenden Mehrsprachigkeit, sondern auch vor dem Hintergrund einer föderalen Gesellschaftsorganisation zu verstehen, wo Integration zuerst auf Gemeindeebene passiert, und wo es auch die Gemeinde ist, die den Schweizerpass vergibt.

Quelle der Grafik und mehr zur Studie: Link (hier klicken).

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